Revolution im Sportrecht nach Pechstein-Urteil? – Erste Analyse

Das Landgericht München I hat die Schadensersatzklage der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein für zulässig erklärt, aber als unbegründet abgewiesen. Was auf den ersten Blick wie ein alltäglicher Urteilsspruch eines deutschen Zivilgerichts erscheinen mag, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als bemerkenswertes Urteil, das Einiges an Bewegung in die Gerichtsbarkeiten im Sport bringen könnte.

Das mediale Echo fiel zunächst geteilt aus. Während einige Medien nüchtern über die Niederlage Pechsteins im Rahmen der Schadensersatzklage berichteten, überschlugen sich andere mit Superlativen im Hinblick auf sportrechtliche Konsequenzen: Dabei reichte die Palette vom “Erdbeben im Sportrecht” (Sport1) bis hin zur “Revolution für die Sportwelt” (Spiegel online). Dieser vermeintliche Widerspruch in der Berichterstattung bildet die Entscheidung indes perfekt ab. Denn: Das Urteil ist zunächst  – weil noch nicht rechtskräftig – eine Schlappe für Pechstein, denn ihre Klage wurde abgewiesen. Es ist aber auch ein Fingerzeig in Richtung Athletenrechte und Rechtstaatlichkeit im Sport, die zuletzt im Rahmen der Diskussion um die sog. Athletenvereinbarung immer wieder in Frage gestellt worden war.

Vorgeschichte der zivilgerichtlichen Klage

Mit ihrer Klage, die seit Oktober 2013 vor dem LG München I verhandelt wurde, forderte Claudia Pechstein von der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und dem Eisschnelllauf-Weltverband ISU Schadensersatz in Höhe von 3,5 Millionen Euro und 400.000 Euro Schmerzensgeld (Az. 37 O 28331/12). Vorausgegangen waren eine zweijährige Dopingsperre Pechsteins von 2009 – 2011 durch die entsprechenden Verbände, nachdem bei Pechstein ein erhöhter Wert von Retikoluzyten im Blut mithilfe eines indirekten Nachweises (“Blutpasses”) nachgewiesen worden war. Gegen diese Sperre war die Eisschnellläuferin auf dem vorgesehen Gerichtsweg vorgegangen, nämlich der Klage vor dem Internationalen Sportschiedsgericht CAS in Lausanne. Hierzu hatte sich Pechstein in einer Athletenvereinbarung gegenüber den Eisschnelllaufverbänden verpflichtet. Da die Berlinerin auch die Entscheidung des CAS, an der Dopingsperre festzuhalten, nicht hinnehmen wollte, wandte sie sich auf der Grundlage neuer Gutachten, die den Verdacht erhärteten, die erhöhten Retikoluzyenwerte könnten auch die Folge einer genetisch bedingten Blutanomalie sein, an das in diesen Fällen zuständige Schweizer Bundesgericht. Doch auch dieses wies ihre Revision gegen die Entscheidung des CAS ab und bestätigte endgültig die Sperre.

Sportrecht vorm staatlichen Gericht

Der Prozess vor dem Landgericht München I hatte im Wesentlichen drei Rechtsfragen zum Gegenstand. Im Rahmen der Begründetheit die Frage, ob Pechstein ein Schadensersatzanspruch gegen die beiden Eisschnelllaufverbände zusteht. Im Rahmen der Zulässigkeit waren die beiden eng miteinander verknüpften Fragen zu klären, ob die von der Eisschnellläuferin unterzeichnete Schiedsgerichtsvereinbarung, welche ihr den Weg vor ein staatliches deutsches Gericht verwehrt, unwirksam ist und damit die Tür zum LG München I geöffnet, also die Zulässigkeit der Klage überhaupt gegeben war.

Eine Menge sportrechtlicher Zündstoff, denn insbesondere die Frage nach der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung wird vor allem durch die Sportler selbst seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Zu weit von rechtstaatlichen Grundsätzen und der Einhaltung einzelner Grundrechte entfernt, erscheint so manchem die vertragliche Architektur der entsprechenden Athletenvereinbarungen, mit deren Hilfe sich die Sportler gegenüber den Vorgaben der Sportverbände unterwerfen. Neben der schiedsgerichtlichen Klausel enthalten die Vereinbarungen oft einen Verzicht auf eigene Vermarktungsrechte oder Einwilligungserfordernisse über den Umgang mit personenbezogenen Daten der Sportler bei Dopingkontrollmaßnahmen. Auf der anderen Seite ermöglichen die Erklärugen eine einheitliche Anwendung internationaler Regelwerke wie den Welt-Anti-Doping-Code.

Im Hinblick auf die Schiedsgerichtsklausel ist Voraussetzung, das die Zustimmung des Unterzeichnenden freiwillig erfolgt. Eine Voraussetzung, die im Rahmen der Athletenvereinbarungen in jedem Fall angezweifelt werden kann. Denn den Sportlern scheint zu oft durch die Unterwerfung unter die Verbandsregeln getreu dem Motto: “Friss oder stirb” nur die Möglichkeit zu bleiben, die Vorgaben hinzunehmen oder auf die Ausübung ihres Sports im Wettkampfbereich zu verzichten.

Grund genug für einige Sportler, die Athletenvereinbarungen unter Vorbehalt oder einzelne Teile gar nicht zu unterschreiben. So machte Diskuswerfer Robert Harting Ende 2013 publik, dass er eine Schiedsgerichtsklausel seit fünf Jahren nicht mehr unterschrieben habe. Von anderen Sportlern war zu hören, dass sie entsprechende Vereinbarungen zwar unterzeichnet, dabei aber durch den Zusatz “Unterschrift nicht freiwillig. Sonst kein Start möglich.” o.ä. auf die Intension des Vertragsschlusses hingewiesen hatten.

Landgericht nimmt Stellung zur Schiedsvereinbarung

Auch die Kammer des Landgerichts München I scheint die bisherige Praxis mit der Schiedsgerichtsklausel nicht unberührt  gelassen zu haben. Insofern ist das eigentliche “Erdbeben” im Rahmen des Urteils, dass und vor allem wie sich die Münchner Richter für zuständig erklärt haben. Sie erklärten nämlich nicht nur die Klage Pechsteins vor einem staatlichen ordentlichen Gericht für zulässig, obwohl die Berlinerin sich ja ursprünglich im Rahmen ihrer Athletenvereinbarung gegenüber DESG und ISU verpflichtet hatte, auf den Weg vor ein solches staatliches Gericht zugunsten einer schiedsgerichtlichen Entscheidung vor dem CAS zu verzichten.

Die Kammer ließ es sich auch nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass eine solche Schiedsvereinbarung  unwirksam sei und bezeichnete die entsprechende Klausel gar als sittenwidrig. Damit erkannte sie, dass Pechstein bei Unterzeichnung die  Freiwilligkeit fehlte, diese Erklärung abgeben zu wollen. Im Urteil kommt das so zum Ausdruck:

Im Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsvereinbarungen bestand ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen der Klägerin und den Beklagten. Die Beklagten haben als nationaler und internationaler Eisschnelllaufverband eine Monopolstellung inne.

Freiwilligkeit bei Unterzeichnung und Freiwilligkeit vorm CAS

Dass die Münchner Richter genau gearbeitet haben, wird daran deutlich, dass sie richtigerweise auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsvereinbarung abstellen und die Unwirksamkeit der Vereinbarung hiervon abhängig machen. Denn es  stellt sich schließlich die Frage, warum die Klage im Ergebnis unbegründet bleibt, wenn doch die scheinbar höchste Hürde – die Zulässigkeit des Landgerichts – bereits genommen ist.

Auch hier erweist sich bei genauerem Hinsehen das als schlüssig, was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint. Denn nach Auffassung des Gerichts steht die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung einer Anerkennung des Schiedsspruchs nicht entgegen, denn Pechstein habe trotz Kenntnis von der fehlenden Freiwilligkeit beim Abschluss der Schiedsvereinbarung den CAS angerufen und dort auch diesen Mangel nicht gerügt. Zu begründen ist das mit der sog. order of procedure, die besagt, dass bei Einleitung des Verfahrens erneut die Zuständigkeit des CAS freiwillig anerkannt werden muss. Pechstein hätte also bereits im Verfahren vor dem CAS die Möglichkeit gehabt, zu rügen.

Nach Auffassung der Kammer habe nämlich im Zeitpunkt der Anrufung des CAS zwischen den Parteien gerade kein strukturelles Ungleichgewicht mehr bestanden, weshalb die CAS-Entscheidung in Rechtskraft ergehe. Die Kammer führt hierzu aus, dass sie in einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Dopingsperre und den damit verbundenen Schaden für Pechstein durch die Rechtskraft der Entscheidung des Internationalen Sportgerichts CAS gehindert gewesen sei.

Zusammengefasst bedeutet das: Hätte Pechstein nicht den durch die unzulässige Schiedsvereinbarung vorgegebenen Weg über den CAS, sondern gleich jenen vor ein staatliches ordentliches Gericht gewählt oder hätte sie zumindest bereits vor dem CAS gerügt und auch ihre Schadensersatzforderung kundgetan, wäre ihre Klageforderung zumindest dem Grunde nach wohl begründet gewesen.

Stärkung der Athletenrechte – Schwächung der Sportautonomie

Was bleibt, ist die Frage nach den Auswirkungen des Urteils. Es steht fest, dass es sich um ein richtungsweisendes Urteil handelt – trotz der Tatsache, dass es erstinstanzlich ist. Das Urteil stärkt in jedem Fall die Rechte der Athleten, denen es von nun an möglich sein wird, zwischen Schiedsgericht und staatlichem Gericht zu wählen. Da der CAS in der Schweiz sitzt und vor dem Sportschiedsgericht nur auf Englisch oder Französisch verhandelt werden darf, ist zu erwarten, dass deutsche Sportler den Weg nach Lausanne künftig meiden werden.

Abzuwarten bleibt, welche Wirkung die Entscheidung auf die Autonomie des Sports hat. Bei aller Kritik ist die Schiedsgerichtsbarkeit im Sport eine sinnvolle Errungenschaft. Wenngleich sie nicht die einzige Möglichkeit ist, schnelle und gute, weil im Idealfall im Interesse des sportlichen Wettkampfs ergehende Entscheidungen zu erhalten, was immer wieder als Argument bemüht wird, so hat sie sich seit mehr als einem Jahrzehnt flächendeckend global durchgesetzt und ist seither dem Ziel nähergekommen, eine einheitliche und abschließende Instanz für die Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten im Sport zu schaffen. Damit wird die Gleichheit im Sport abgesichert. Vor allem im Anti-Doping-Kampf hat die Etablierung eines internationalen Schiedsgerichts dazu beigetragen, dass die weltweiten Regelungen an Akzeptanz gewonnen haben. Mit dieser Ausrichtung trägt die Schiedsgerichtsbarkeit daher auch zur Unabhängigkeit des Sports von den Rechtsordnungen der Einzelstaaten bei. Es bleibt abzwuarten, ob diese Unabhängigkeit durch das Urteil geschwächt wird.

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