Pechstein-Urteil: Eine Bankrotterklärung für den CAS

Das Urteil des OLG München zur Schadenersatz-Forderung von Claudia Pechstein gegen den Welt-Eislaufverband ISU ist der Paukenschlag, mit dem man nach der ersten Verhandlung im November 2014 bereits rechnen konnte. Auch wenn das Zwischenurteil noch in Ruhe ausgewertet werden und die Rechtsauffassung des BGH abgewartet werden muss: Der endgültige Untergang der Sportschiedsgerichtsbarkeit ist es nicht, auch wenn man das nach der Lektüre der einschlägigen Online-Leitmedien denken könnte. Fakt ist: Der CAS hat sich eine schallende Ohrfeige vom OLG eingefangen; in Lausanne wird sich Einiges ändern müssen!

Mit ihrer Klage, die vor dem OLG nun in zweiter Instanz vor einem staatlichen Gericht behandelt wurde, fordert Claudia Pechstein von der ISU Schadensersatz in Höhe von ca. 4 Mio Euro (Überblick zur Prozessgeschichte hier).

Was hatte das LG München in der ersten Instanz entschieden?

Das Landgericht München I hatte die Vereinbarung von Pechstein mit der ISU im letzten Februar für nichtig erklärt, wonach sich die Athletin der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen musste. Dabei hatten die Richter ihre Argumentation hauptsächlich auf die fehlende Freiwilligkeit der Schiedsvereinbarung gestützt und diese als sittenwidrig beurteilt. Darüber hinaus erklärten sie den CAS-Spruch für bindend, weil Pechstein trotz Kenntnis von der fehlenden Freiwilligkeit beim Abschluss der Schiedsvereinbarung den CAS angerufen und dort auch diesen Mangel nicht gerügt habe. Hiernach wäre ein neuerliches Aufrollen des Dopingvorwurfs nicht möglich gewesen.

Was ist neu und so “revolutionär” am Urteil des OLG?

a. Beurteilung nach kartellrechtlichen Kriterien

Die Richter am OLG beurteilten das Verhältnis der Athletin zum Verband nicht generalklauselartig mit Hilfe der Sittenwidrigkeit, sondern nach kartellrechtlichen Kriterien. Ein – zugegebenermaßen – nicht fernliegendes Unterfangen angesichts der Monopolstellung der Sportverbände durch das im Sport gewohnheitsrechtlich manifestierte “Ein-Verbands-Prinzip”. Dennoch entspricht diese Einordnung bislang nicht der gängigen Gerichtspraxis und schon gar nicht dem Selbstbild der sozialmächtigen Sportverbände.

Im Rahmen dieser Bewertung kommt das Gericht zu der Auffassung, das im konkreten Fall von Claudia Pechstein ein Missbrauch von Marktmacht zwischen den Parteien der Schiedsvereinbarung, namentlich dem ISU auf der einen und der Athletin auf der anderen Seite vorgelegen hat.

b. Missbrauch der Marktmacht durch verfahrensrechtliche Mängel

Das missbräuchliche Verhalten der ISU resultiert nach Ansicht des Gerichts aus den verfahrensrechtlichen Gegebenheiten, die vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS geherrscht haben. So heißt es im Urteil:

Nach den im Zeitpunkt der Schiedsvereinbarung gültigen Verfahrensregeln haben die daran beteiligten Verbände (die Internationalen Sportverbände, das Nationale und das Internationale Olympische Komitee) bestimmenden Einfluss auf die Auswahl der Personen, die als Schiedsrichter in Betracht kommen.

Insofern sieht das OLG vor allem die Nichtvereinbarkeit des Verfahrensrechts vor dem CAS mit rechtstaatlichen Grundsätzen als Hauptargument für die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung. Insbesondere die geschlossene Schiedsrichterliste und deren konkrete Zusammensetzung in einzelnen Verfahren ist den Richtern ein Dorn im Auge zu sein. Laut PM findet die Kammer hier deutliche Worte im Hinblick auf die Besetzung der Schiedsrichter vor dem höchsten Sportgericht:

Durch die Vorgaben für die Wahl der im Rahmen der Schiedsvereinbarung in Betracht kommenden Schiedsrichter erhalten die Verbände bei Streitigkeiten mit Athleten ein strukturelles Übergewicht, das die Neutralität des CAS grundlegend in Frage stellt.

Begründet wird dieses “strukturelle Ungleichgewicht” damit, dass in den Berufungsverfahren vor dem CAS der Vorsitzende des für die konkrete Streitigkeit zuständigen Kollegiums vom Präsidenten der Berufungsabteilung des CAS bestimmt wird, wenn sich die Streitparteien insoweit nicht einigen können, und der Präsident der Berufungsabteilung seinerseits durch die einfache Mehrheit eines Gremiums gewählt wird, das strukturell von den Verbänden abhängt.

c. Nichtanerkennung des CAS-Spruchs

Als richtungsweisend kann zudem die Tatsache bewertet werden, dass das OLG in seinem Zwischenurteil die Bindung als ordentliches Gericht an des schiedsgerichtliche Urteil im Vergleich zum LG anders bewertet und den CAS-Spruch ausdrücklich nicht anerkannt hat. In der Pressemitteilung heißt es hierzu:

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten steht die zwischen der Klägerin und der Beklagten getroffene Schiedsvereinbarung vom 2. Januar 2009 dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht entgegen. An die Entscheidung des CAS, die Dopingsperre sei zurecht verhängt worden, sind die deutschen Gerichte jedoch nicht gebunden.

Hoffnung also für Pechstein, dass ihre Schadensersatzforderung begründet ist. Allerdings wollte und konnte sich das Gericht in dieser Frage wegen der mangelnden Entscheidungsreife nicht festlegen und hat daher zunächst ein Zwischenurteil gefällt..

Fazit

Das Zwischenurteil ist ein Paukenschlag; es löst ein mittleres Beben in der Sportwelt aus. Und es ist eine Bankrott-Erklärung für das Verfahrensrecht des Internationalen Sportgerichtshof CAS in seiner jetztigen Gestalt. Doch das überrascht wenig. Immerhin stammt die Struktur des CAS aus einer Zeit, in der die Verbände unangefochten und weitgehend unkontrolliert den Sport bestimmten. Mittlerweile hat jedoch das staatliche Recht mit seinen rechtstaatlichen Grundsätzen Einzug in den Sport gehalten, was nach und nach auch auch an anderer Stelle zu vernehmen ist. Der Fall des SV Wilhelmshaven und die Debatte um die Untersuchung der WM-Vergabe an Russland und Katar sind da nur zwei Beispiele.

Dennoch sollte man nicht den Fehler machen und das Urteil überbewerten oder gar das endgültige Aus der Sportschiedsgerichtsbarkeit verkünden. Denn: Die Sportschiedsgerichtsbarkeit ist wichtig und sinnvoll für das Funktionieren eines internationalen Sportbetriebs! Andernfalls müsste man die Frage stellen: Welches nationale Rechtssystem soll den Takt vorgeben im internationalen Sportbetrieb bei wichtigen Fragen wie Doping oder Korruption? Das deutsche, das russische, das amerikanische, das kenianische oder gar das jamaikanische?

Die Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit haben auch die Münchner Richter erkannt und betonen, dass

[…] das Verlangen einer Schiedsvereinbarung durch den Ausrichter von internationalen Sportwettkämpfen nicht schlechthin einen Missbrauch von Marktmacht dar[stellt]. Vielmehr bestehen gewichtige sachgerechte Gründe dafür, Streitigkeiten zwischen Athleten und Sportverbänden im Zusammenhang mit internationalen Wettkämpfen nicht den verschiedenen in Betracht kommenden staatlichen Gerichten zu überlassen, sondern einem einheitlichen Sportgericht zuzuweisen. Insbesondere kann auf diese Weise durch einheitliche Zuständigkeit und Verfahrensgestaltung verhindert werden, dass in gleichgelagerten Fällen divergierende Entscheidungen getroffen werden, was der Gewährleistung der Chancengleichheit der Athleten bei der Wettkampfteilnahme dient.

Klar ist aber: Das System beim CAS muss generalüberholt werden! Der Einfluss der Verbände muss verringert werden; der Einfluss der Athleten muss zunehmen! Es müssen transparente und rechtstaatliche Verfahren möglich werden, die es dem einzelnen Sportler schwer machen, sich im Rahmen eines zu erwartenden künftigen Wahlrechts (trotz der anderslautenden Regelung im Entwurf zum Anti-Doping-Gesetz) gegen ein schiedsgerichtliches und für ein ordentliches Verfahren zu entscheiden.

 

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