Es war der Aufreger des Wochenendes und wird wohl noch länger für Gesprächsstoff sorgen: das Tor, das keines war. Erzielt von Stefan Kießling am vergangenen Freitag beim Auswärtsspiel von Bayer Leverkusen in Hoffenheim. Doch wenngleich der Ruf nach einem Wiederholungsspiel nicht lange auf sich warten ließ, sind die Chancen darauf gering.
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Die Szene war zweifelsohne kurios: Da ist ein winziges Loch im Tornetz und der Kopfball von Stefan Kießling ebnet sich in der 70. Minute den Weg genau dort durch und landet schließlich zum 2:0 im Netz. Schiedsrichter Dr. Felix Brych entscheidet auf Tor und Leverkusen gewinnt am Ende 2:1. Muss das Spiel nun wiederholt werden oder behält Leverkusen die drei Punkte trotz dieser offensichtlichen Fehlentscheidung? Des Fußballvolkes Wille scheint klar: beinahe reflexartig ertönte der Ruf nach materieller Fußballgerechtigkeit und Wiederholungsspiel. Eine erste sportjuristische Antwort muss hingegen nach dem fristgerechten Einspruch der TSG 1899 Hoffenheim das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes finden. Dabei wird es die ewig aktuelle Frage zu klären haben: Tatsachenentscheidung oder Regelverstoß?
Erster Gedanke: Tatsachenentscheidung
Auf den ersten Blick erscheint die sportrechtliche Bewertung des „Phantomtors“ von Hoffenheim eindeutig: ein Treffer, der zwar objektiv keiner ist, aber durch die subjektive Einschätzung des Schiedsrichters zu einem wird. Ein beinahe lehrbuchartiger Fall für die im Nachhinein nicht mehr überprüfbare Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters. Eine solche liegt nach der ständigen Rechtsprechung der DFB-Verbandsgerichte immer dann vor, wenn eine den tatsächlichen Ablauf des Fußballspiels betreffende Feststellung des Schiedsrichters erfolgt. Etwa darüber, ob ein Spieler im Abseits stand, eine Tätlichkeit fälschlicherweise als einfaches Foul gewertet wird oder eben bei der Entscheidung, ob ein Tor gefallen ist oder nicht. Das bedeutet, dass Verbandssportgerichte selbst bei evident falschen Tatsachenwahrnehmungen des Schiedsrichters hieraus resultierende Fehlentscheidungen nicht aufheben dürfen. Damit urteilt der DFB nach den Vorgaben des Regelwerks des Weltverbands FIFA, welches gemäß § 1 der Spielordnung des DFB auch in der Bundesliga anzuwenden ist. Dieses legt in Regel 5 der allgemeinen Fußball-Spielregeln fest, dass Entscheidungen des Schiedsrichters zu spielrelevanten Tatsachen endgültig sind. Ergänzend wird hinzugefügt: „Dazu gehören auch das Ergebnis des Spiels sowie die Entscheidung auf „Tor“ oder „kein Tor“.“
So weit so eindeutig; doch der Fall ist eines zweiten Blickes wert. Die Chancen auf ein Wiederholungsspiel konzentrieren sich aus Hoffenheimer Sicht daher vor allem darauf, Brych einen Regelverstoß nachzuweisen. Denn anders als die Tatsachenentscheidung ist der Regelverstoß einer nachträglichen Überprüfung durch die Sportgerichtsbarkeit zugänglich. Um einen Regelverstoß handelt es sich, wenn der Schiedsrichter die Sportregeln fehlerhaft anwendet. Aus 17 Nr. 2 c der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB ergibt sich, dass ein Einspruch gegen die Spielwertung unter anderem mit der sachlichen Begründung erhoben werden kann, das ein Regelverstoß des Schiedsrichters vorliegt und dieser Regelverstoß die Spielwertung mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflusst hat.
„Im Zweifel gegen das Tor“?
Darauf stützt sich nun die Argumentation, wie Hoffenheims Profifußball-Leiter Alexander Rosen gegenüber dem TV-Sender Sport 1 verkündete. „In den Statuten steht: Ein Tor darf nicht gegeben werden, wenn Zweifel bestehen. Und Felix Brych hat im Interview nach dem Spiel Zweifel an seiner Entscheidung geäußert, und das fechten wir an”, sagte Rosen. Eine Argumentation, die die Hoffenheimer offenbar auf die zusätzlichen Erläuterungen des DFB zu Regel 10 der FIFA Spielregeln 2013/14 stützen. Demnach soll der Schiedsrichter das Spiel weiterlaufen lassen, wenn Zweifel bestehen, ob der Ball vollständig im Tor war. Hier könnte tatsächlich ein Ansatzpunkt für einen Regelverstoß liegen, wenn man Brychs Äußerung nach dem Spiel berücksichtigt: “Ich hatte kleine Zweifel, aber die Reaktionen der Spieler waren eindeutig. Es gab kein Anzeichen, dass es ein irreguläres Tor sein könnte”, sagte Brych: “Deshalb habe ich Tor gegeben.” Allerdings reichen diese „kleinen Zweifel“ nicht aus, um tatsächlich einen Regelverstoß zu begründen. Schließlich ist Brychs` Äußerung retrospektiv so zu verstehen, dass er die bestehenden Zweifel innerhalb kurzer Zeit verworfen hat und letztlich eine klare Tatsachenentscheidung pro Tor getroffen hat.
Mit zu berücksichtigen ist wohl auch die Rolle Hoffenheims als gastgebender Verein. Denn aus den zusätzlichen Erläuterungen des DFB zu Regel 1 der FIFA-Spielregeln 2013/14 ergibt sich, dass der Platzverein für die richtige Zeichnung des Spielfeldss sowie den ordnungsgemäßen Aufbau der Tore, ihre zuverlässige Befestigung und ihren unbeschädigten Zustand verantwortlich.
Nicht ohne die FIFA
Doch selbst wenn das Sportgericht des DFB einen Regelverstoß Brychs animmt, bedeutet das nicht automatisch Spielwiederholung. Der Grund: § 18 Nr. 6 der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB. Demnach ist die Entscheidung über die Spielwertung zwar grundsätzlich durch die Rechtsorgane des DFB zu treffen. Allerdings ist im Falle einer Spielwiederholung wegen eines Regelverstoßes des Schiedsrichters die rechtskräftige Entscheidung zur abschließenden Beurteilung der FIFA vorzulegen. Die Regelung überrascht zunächst, ist jedoch eine logische Konsequenz der jüngeren Sportgerichtsgeschichte. So hatte das DFB-Sportgericht beim „Phantomtor 1994“ von Thomas Helmer ein Wiederholungsspiel anberaumt und im Nachgang von der FIFA deutliches Missfallen mitgeteilt bekommen. Ein Jahr später annullierte die FIFA unter Verweis auf die Tatsachenentscheidung sogar das Zweitliga-Wiederholungsspiel zwischen dem Chemnitzer FC und dem VfB Leipzig und wertete das erste Spiel. Denn: beim Weltverband ist die Tatsachenentscheidung ein hohes Gut, das umfassenden Schutz genießt. Die Entscheidung wird also den Weg über Zürich machen müssen. Kurios dabei: während der Weltverband zwar nachhaltig an der Unanfechtbarkeit der Tatsachenentscheidung festhält, hat sie doch Ausnahmeregelungen und insbesondere mit der Torlinientechnik eine Methodik eingeführt, die ein Stückchen der materiellen Gerechtigkeit bei Torentscheidungen herbeiführen soll. Demgegenüber scheinen DFB und DFL zwar progressiver mit der Einschränkbarkeit der Tatsachenentscheidung umzugehen, sträuben sich jedoch (noch), die Torlinientechnik in der Bundesliga einzusetzen.
Somit wird die Diskussion über die Unanfechtbarkeit der Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters anhalten, wobei von einer Abschaffung dieser Regelung dringend abzuraten ist: Denn neben der Integrität des Schiedsrichters schützt diese in jedem Fall auch die Durchführbarkeit eines sportlichen Wettbewerbs ohne einzelne Spannungselemente in die Hände von Sportjuristen legen zu müssen. Dennoch sollten sich die Regelhüter nicht vor der Schaffung von Ausnahmetatbeständen bei Entscheidungen über „Tor“ oder „kein Tor“ und der Nutzung entsprechender technischer Lösungen verschließen, damit auch der Fußballfan und dessen Gerechtigkeitsempfinden auf ihre Kosten kommen.