Die vertane Chance des IOC

Die Olympischen Spiele in Sotschi haben ihrer ersten Eklat. Wider Erwarten ist es kein Dopingfall, der für Empörung sorgt. Im Zentrum der Kritik: der Veranstalter, das IOC.

Die norwegische Langläuferin Marit Bjoergen holte eine der ersten Goldmedallien in Sotschi. Am linken Arm trug sie dabei einen Trauerflor. Und sie war nicht die Einzige. Bei der gesamten norwegischen Mannschaft war eine schwarze Binde am Arm zu beobachten. Damit zeigte das Team Solidarität und Mitgefühl für den plötzlichen und tragischen Tod des Bruders der norwergischen Langläuferin Astrid Jacobsen. Eine Geste zum Missfallen des Internationalen Olympischen Komittees (IOC), das prompt reagierte und die Norwerger für dieses Verhalten rügte.

Das IOC hat damit auf der Grundlage seiner Olympischen Charta gehandelt. Wie der Großteil der berichtenden Medien annimmt, könnte es diese Rüge dabei auf die Regel 50.3 der Olympischen Charta gestützt haben. Danach ist jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt. Fraglich und schwer nachvollziehbar dürfte dabei sein, wie die Geste hierunter zu subsumieren ist. Es erscheint vom reinen Wortlaut her wenig überzeugend, das Tragen eines schwarzen Trauerflors am Arm als politische, religiöse oder rassische Progaganda oder gar als Demonstration zu werten.

Umso wahrscheinlicher ist es, dass das IOC die Rüge auf der Grundlage von Regel 50.1. der Charta ausgesprochen hat. Danach legt das IOC-Exekutivkommission die Grundsätze und Bedingungen fest, nach denen jegliche Form von Reklame oder andere Werbung gestattet werden kann. In den sog. by-laws, also den Durchführungsbestimmungen zu Regel 50 und in den IOC Sotschi Guidelines_Regarding_Authorised_Identifications heißt es hierzu:

No form of publicity or propaganda, commercial or otherwise, may appear on persons, on sportswear, accessories or, more generally, on any article of clothing or equipment whatsoever worn or used by the athletes or other participants in the Olympic Games […].

Das Reglement legt also fest, dass auf jedwedem Kleidungsstück oder Ausrüstungsgegenstand, das von Athleten oder anderen Teilnehmern an den Olympischen Spielen getragen oder benutzt wird, keinerlei Form von gewerblicher oder anderer Werbung oder Propaganda erscheinen darf. Sinn und Zweck der Norm scheint dabei vor allem der Schutz von kommerziellen Interessen der IOC-Sponsoren sowie nachrangig auch vor Missbrauch der Spiele zu politischer Instrumentalisierung zu sein. Besonders ersteres liegt ja bekanntlich im IOC-Fokus, sodass man die Rüge als Verstoß im Sinne eines Anbringens (werbe)-irritierender Botschaften im Wege dieser Regel interpretieren könnte. Getreu dem Motto: Da wo die Aufmerksamkeit auf das Trauerflor fällt, kann sich nicht auf etwas anderes gerichtet sein.

Nur wenn man Propaganda im Sinne der Regel 50 in dieser Art auslegen würde, wäre dem IOC formaljuristisch schwer etwas vorzuwerfen. Das Tragen des Trauerflors müsste dann als nichtkommerzielles Propagandamittel bewertet werden, was selbst bei weiter Auslegung mehr als fraglich und wohl kaum vertretbar sein dürfte.

Unabhängig dieser juristischen Auslegungsfrage steht eines jedoch fest: Das IOC hat eine große Chance vertan. Nämlich die, in diesem Fall einfach nichts zu tun.

Mehr noch: Die Rüge selbst steht ihrerseits im Widerspruch zur Charta. Denn am Beginn der Charta, weit vor der Regel 50, sind die sieben grundlegenden Prinzipien des Olympismus niedergeschrieben. Da heißt es unter Punkt 2:

Ziel des Olympismus ist es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist.

Fazit: Chance vertan…

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